Die hl. Catharina von Siena über das Priestertum

Die hl. Catharina von Siena, die vor genau 600 Jahren (1380) starb, hat sich auffallend stark mit dem Priestertum, wie es ihr in Päpsten, Kardinälen, Bischöfen und einfachen Ordens- und Weltpriestern ihrer Zeit gegenübertrat, auseinandergesetzt und hat leidenschaftlich erlebt und gespürt, wie die Reform der Kirche immer von der Reform des Klerus ihren Ausgang nehmen muss. Es ist ungemein aufschlussreich, dem Thema Priestertum im schriftlichen Nachlass dieser Heiligen ein wenig nachzugehen, weil sich dabei manche Parallelen zur heutigen Situation des Klerus und der Kirche zeigen.

Die hl. Catharina von Siena kommt aus den unteren Volksschichten; sie lernte erst mit 20 Jahren das Lesen und mit 30 Jahren erst das Schreiben und beschloss mit 33 Jahren in Rom am 29. April 1380 ihr Leben. Sie war das 24. oder 25. Kind eines arbeitsamen Färbermeisters und seiner Gattin. Bis zum 6. Lebensjahr war sie Kind wie andere auch, durch nichts hervorragend. Dann aber wurde sie durch eine Christusvision aus der gewöhnlichen Bahn geworfen, in der sie sich wie ihre Eltern, Geschwister und andere Menschen der damaligen Zeit bewegt hatte. Der Vater musste nun von seiner Tochter bekennen: „Es ist etwas an ihr, das nicht in unseren engen bürgerlichen Rahmen passt.“ Man wollte die herangereifte Catharina von ihrem vielen Beten und Fasten abbringen, auf „vernünftige“ Gedanken bringen, man wollte sie verheiraten, aber sie widersetzte sich energisch. Sie ging aber auch nicht in ein Kloster. Sie bedurfte zu der ihr von Gott zugedachten Sendung einer größeren Freiheit als ihr die Ehe oder der Ordensstand gewährt hätten. Catharina bewarb sich nur um die Aufnahme in den dritten Orden des hl. Dominikus.

Mit dieser Aufnahme war die erste Etappe im Leben der Heiligen abgeschlossen. Bisher hatte sie gegen äußere Widerstände kämpfen müssen. Nun, da sie ganz zurückgezogen im Elternhaus lebte, konnte sie den Kampf gegen den inneren Feind fortsetzen. Um dem himmlischen Geliebten, dem sie sich geweiht hatte, ganz wohlgefällig zu werden, reinigte sie ihre Seele durch Härte gegen sich selbst in vielen Bußwerken. Wie es bei jeder jungen Liebe zu gehen pflegt, führte ihre Leidenschaft sie zu Übertreibungen. Später erkannte sie Maß und Grenze der Aszese und schrieb: „Buße darf nur ein Mittel zur Entfaltung der Tugenden sein. Sie soll stets dem Bedürfnis des Einzelnen und seinen seelischen Möglichkeiten entsprechen.

Catharinas Visionen häuften sich nun. Als sie 19 Jahre alt war, erschien ihr Christus und sprach: „Tu von nun an, meine Tochter, mannhaft und ohne zu wanken, was meine Vorsehung in deine Hände legen wird! Du bist mit der Kraft des Glaubens gestärkt worden. So wirst du alle deine Widersacher siegreich überwinden!“ Gott befahl ihr, unter den Menschen apostolisch zu wirken. Catharina aber widerstrebte: „Jetzt, da du mir alles bedeutest, sagst du mir, ich solle gehen und zu den Menschen zurückkehren? Dabei werde ich wohl sicher das Licht wieder verlieren, das ich jetzt besitze?“ Der Herr aber antwortete ihr: „Sei ruhig, du sollst tätig sein, um den anderen zu helfen. Ich will mich dabei keineswegs von dir trennen, vielmehr möchte ich dich durch die Liebe zum Nächsten noch enger an mich binden. Du musst die Menschen zu Teilhabern des Heils machen, das du genießt!“ Sie entgegnete: „ich bin doch nur eine Frau, und es steht den Frauen nicht zu, zu lehren und Apostel zu sein! Vor ihnen hätten die Männer keinen Respekt. Außerdem gehört es sich nicht, dass eine Frau sich mit Männern unterhält.“ Aber auch dieser letzte Widerstand gegen ihre Berufung und Sendung wurde überwunden.

Hatte Catharina wie wohl jeder andere Mystiker auch zuerst den Drang in sich gefühlt, einzig und allein für Gott da zu sein und sich ganz Gott allein hingeben zu müssen und alles andere abzuweisen, so begann sie bald schon zu verstehen, wie ihre Liebe zu Gott, um sich nach außen als echt kundzutun, auf die Mitmenschen überströmen müsse. Sie trat nun aus ihrer Einsamkeit heraus und begann, die Kranken in den Spitälern zu besuchen sowie Notleidende, verschämte Arme in der Nachbarschaft und sogar Aussätzige zu betreuen. Ihr beschauliches Leben erlitt bei dieser caritativen Tätigkeit keinerlei Einbuße: die Visionen und Ekstasen gingen vielmehr unvermindert weiter; Mystik und caritative Tätigkeit förderten sich bei Catharina gegenseitig so sehr, dass sie einen ungeahnten Grad der Steigerung erreichten. Aber sie war noch nicht am Ziel ihrer eigentlichen Berufung, die in erster Linie der hierarchisch verfassten Kirche, dem Papst und den Priestern gelten sollte.

In ihrem 24. Lebensjahr erlitt Catharinas Gesundheit einen totalen Zusammenbruch. Vier Stunden lang lag sie völlig leblos auf dem Lager. Man hielt sie für tot. Als sie wieder zu sich kam, erklärte sie, sie sei gestorben, damit Christus in ihr lebe, sie sei aber auf Befehl Gottes zur Erde zurückgekehrt, um ihre apostolisches Wirken zu erweitern. Tatsächlich entfaltete sie, die bisher kaum über den Bereich der Stadt Siena hinausgekommen war, seit ihrem mystischen Tod eine intensive Tätigkeit, die weit über die Grenzen Italiens hinausgriff und weltgeschichtliche Folgen haben sollte in der Friedenspolitik und Kirchenpolitik, die sie nun in höherem Auftrag betrieb.

Dabei lernte Catharina nun der Reihe nach Priester kennen. Zuerst mehr solche, die ihr feindselig gesinnt waren und sie für eine scheinheilige Hysterikerin hielten. Gerade Priester aus dem Dominikanerorden verfolgten sie teilweise mit unbeschreiblicher Gehässigkeit; man warf sie aus der Kirche auf die Straße hinaus, trat sie brutal mit Füßen, quälte sie in ihren Ekstasen, verweigerte ihr die Sakramente und beschimpfte sie pöbelhaft; der Dominikanergeneral zitierte sie vor das Generalkapitel des Ordens in Florenz, wo sie über ihr Leben und Tun Rechenschaft ablegen sollte. Aus all diesen Prüfungen ging Catharina jedoch innerlich und äußerlich siegreich hervor, sie wuchs an Liebe und Kraft und wurde glänzend gerechtfertigt.

Man möchte meinen, diese magere, blasse, kränkliche junge Frau, die unaufhörlich betete, fast nichts aß, sich selbst kasteite und oft in Ekstase erstarrte, habe recht abstoßend gewirkt, aber das Gegenteil war der Fall, sie besaß schließlich eine ungeheure Anziehungskraft für jene, die sie näher kennenlernten. In den Kreis ihrer Bewunderer traten bald gelehrte Ordensmänner, die sich anfangs ihr gegenüber sehr skeptisch verhalten hatten. Raimund von Capua (+ 5. Okt. 1399), der gelehrte Theologe und spätere 23. General des Dominikanerordens, der anfangs Catharina sehr kritisch gegenüberstand, wurde bei näherer Bekanntschaft mit ihr von Bewunderung für sie ergriffen, er wurde später ihr Beichtvater, Mitarbeiter und Biograph. Gerade aus den Briefen, die Catharina diesem seliggesprochenen Priester schrieb, lässt sich viel herausholen über ihre Sicht des Amtspriestertums, dessen Salböl gemäß der Mystik der hl. Catharina nicht so sehr das Chrisam, sondern das Kostbare Blut des ewigen Hohenpriesters Jesus Christus ist. Das gehört unbedingt beachtet. Fast jeden ihrer Briefe schreibt Catharina „im kostbaren Blut Jesu“. Das Blut ist ihr Symbol der priesterlich sich hinopfernden Liebe Christi und bedeutet für sie Hingabe, Opfer, Gnade erneuertes Leben und Erlösung. Es regte Catharina zu überschwänglichen Aussprüchen an, die für uns rationalistisch nüchtern denkende Menschen des 20. Jahrhunderts kaum mehr zu verstehen sind: „Ich will Blut und im Blut befriedigt sich meine Seele!“ “Ich will, dass ihr untertaucht in diesem süßen Blut, das vom Feuer der Liebe Jesu durchdrungen ist“, so schreibt sie an Priester. „Ohne dieses Blut sind wir verloren.“ „Dieses Blut wurde der Kirche anvertraut, es gibt den Sakramenten ihre Lebenskraft.“ Wir empfangen es durch den Papst, den „Kellermeister des Blutes“, durch die Bischöfe und Priester. „Wer den Stellvertreter Christi missachtet, missachtet das Blut. Wer gegen den einen ist, ist gegen das andere, denn die beiden gehören zusammen.“ Das Blut ist das zentrale Symbol in Catharinas Sicht der priesterlichen Amtsträger in der Kirche vom Papst bis zum letzten Priester.

Diese Blutmystik Catharinas wird besonders stark spürbar in folgenden Sätzen, die sie an ihren Beichtvater Raimund von Capua schreib: „Tauchet unter im Blut des Gekreuzigten, badet Euch im Blute. Sättigt Euch im Blute. Kleidet Euch im Blute. Und wenn Ihr schwach geworden seid, taufet Euch wieder im Blute. Und wenn der Teufel euch das Auge des Verstandes getrübt hat, so waschet Euch das Auge im Blute. Wenn ihr undankbar wart und die Gnadengaben nicht erkanntet, seid dankbar im Blute... In der Wärme des Blutes verjagt die Finsternis, damit ihr ein ganz an die Wahrheit hingegebener Bräutigam seid, ein echter Hirte und Führer der Schafe, die euch anvertraut sind!“ (Brief 93)

Um Catharinas Auffassung von der Würde und Größe des Amtspriestertums, vom päpstlichen Primat in der hierarchisch verfassten Kirche, von der Stellung der Bischöfe und Priester aufzuzeigen, müsste man der Reihe nach ihre wichtigsten Briefe zur Kenntnis bringen und diese dann deuten, angefangen von den Briefen an die Päpste Gregor XI. und Urban VI. bis zu den Briefen an Kardinäle und an ihre Beichtväter. Es sind kühne, ja erschütternde Briefe, die in einer ungemein offenen, aber dabei doch immer von größter Liebe zur Kirche und von größter Ehrfurcht gegen das hierarchisch gestufte Amtspriestertum diktierten Sprache geschrieben sind.

Man müsste auch, um Catharinas Sicht vom Priestertum klar zu machen, eine Reihe von Kapiteln aus ihrem „Buch über die göttliche Vorsehung“ zitieren, wo sie in erschütterndem Ernst die Würde des Priestertums und die Schlechtigkeit, ja Verkommenheit mancher Priester von damals schildert. Nur auf die Einleitung aus dem letzten Brief, den die hl. Catharina an ihren Beichtvater Raimund von Capua am 15. Februar 1380, kurz vor ihrem Tod geschrieben hat, sei noch hingewiesen, weil sie sich da so ergreifend schön „Magd und Sklavin der Knechte Jesu Christi“, also der Priester, nennt und Mahnungen gibt, die wie für jeden guten, unter der heutigen Situation der Kirche leidenden Priester geschrieben klingen:

„Ich, Catharina, Magd und Sklavin der Knechte Jesu Christi, schreibe Euch in seinem kostbaren Blute. Seid eine fest gegründete Säule im Garten der heiligen Kirche, ein treuer Bräutigam der Wahrheit, wie ihr es doch sein sollt! Dann wird sich glücklich preisen meine Seele. Und darum will ich nicht, dass Ihr irgendeiner Trübsal oder Verfolgung wegen zurückscheut, ich will vielmehr, dass Ihr Euch im Unglück sogar rühmt, denn nur durch unser Ausharren zeigen wir unsere Liebe und Standhaftigkeit und ehren den göttlichen Namen, anders aber nicht. Jetzt ist es Zeit, teuerster Vater, sich ganz zu verlieren und sich selbst zu vergessen, wie es die großen Arbeiter im Weinberg des Herrn immer taten, die mit so großer Liebe und Sehnsucht ihr Leben hingaben und, in stetem demütigem Gebet bis zum Tod ausharrend, diesen heiligen Garten Gottes, die Kirche , mit ihrem Blute tränkten.

Sehet zu, dass ich euch nicht ängstlich und furchtsam sehen muss und dass Ihr Euch nicht etwa gar schon vor Eurem eigenen Schatten fürchtet! Seid vielmehr ein mannhafter Kämpfer und trennt Euch nie vom Joch des Gehorsams, das der oberste Hirte Euch auferlegt hat. Und auch im Orden wirket, was Ihr zur Ehre Gottes wirken könnt. Denn das fordert die große Güte Gottes von uns, und zu keinem anderen Zweck hat er uns gesandt. Seht doch, wie bedrängt die heilige Kirche jetzt ist: in allem ist sie ganz verlassen... und verlassen wie die Braut ist auch ihr Bräutigam...“ (Brief 102)

Die letzten zwei Lebensjahre verbrachte Catharina auf Wunsch des Papstes in Rom. Sie verbrachte hier ihre Zeit in Gebet, Leiden und Sorgen um die wahre Erneuerung der Kirche, um ihre Einheit und in opferbereiter Hingabe an den Nachfolger Petri, den Papst, den „süßen Christus auf Erden“, über den sie an die Signorie von Florenz schrieb: „Wir können unser Heil nicht anders erlangen als im mystischen Leib der heiligen Kirche, dessen Haupt Christus ist und dessen Glieder wir sind. Wer dem Christus auf Erden, der den Christus im Himmel vertritt, nicht gehorcht, der nimmt am Blute des Gottessohnes nicht teil. Denn Gott hat es so eingerichtet, dass durch dessen Hände Christi Blut und alle Sakramente der Kirche zu uns kommen. Es gibt keinen anderen Weg und keine andere Pforte (zum Heil) für uns!“

Trotz ihrer Qualen und Leiden schleppte sich Catharina in diesen letzten römischen Monaten jeden Morgen eine Meile weit zum Petersdom, um dort zu beten. „Am liebsten würde ich diesen Ort weder bei Tag noch bei Nacht verlassen, bis ich dieses Volk ein wenig beruhigt sehe und geeint mit dem Papst.... Ich sann nur noch darüber nach, wie ich mich Gott zum Opfer für die heilige Kirche darbringen könne. Darauf brüllten die Dämonen furchtbar wider mich auf... Ich aber schrie: „O ewiger Gott, empfange das Opfer meines Lebens in dem mystischen Leib der heiligen Kirche... Nimm mein Herz und drück‘ es aus über dem Angesichte Deiner Braut!““

In St. Peter betrachtete Catharina gern das Mosaik von Giotto, das darstellt, wie Christus das sturmumpeitschte Schiff der Kirche rettet und dem auf den Wassern schreitenden Petrus hilft. Eines Tages glaubte sie, dieses Schiff der Kirche sei dem Untergang nahe. Sie wollte es retten, fühlte sich aber von aller Kraft verlassen. Das Schiff schien auf sie zuzukommen, sie spürte die übergroße Last auf ihren Schultern und brach unter ihr zusammen. Man trug sie nach Hause bei S. Maria sopra Mierva, wo sie regungslos liegen musste, weil die geringste Bewegung ihr furchtbare Pein verursachte. Bald schon hatte sie ausgekämpft. Ihr letzter Schrei fasst ihr Leben im Wort „Blut“ zusammen: „Du, o Herr, rufst mich, und ich komme zu Dir. Ich komme nicht dank meiner Verdienste, sondern allein dank Deiner Barmherzigkeit, welche Barmherzigkeit kraft Deines Blutes ich von Dir erbitte. Blut, Blut!“

So starb am 29. April 1380 diese in christozentrischer Verehrung des kostbaren Blutes und in kirchenmystischem Glauben lebende, hoch begnadete Kirchenlehrerin, die den Papst, die Kardinäle und Bischöfe und alle Priester so innig und treu liebte und um deren Heiligkeit so sehr besorgt war.